Geheimnisse um zwei englische Gräber auf dem Eisenacher FriedhofVon Eberhard Helbig

Teil 2In der Liste, über die auf dem Friedhof am Wartenberg in Eisenach beerdigten Ausländer verschiedener Nationalitäten, steht unter dem Eintrag Nr. 1 der Name Charrock, Albert, gest. 28.10.1940: Engländer, Kriegsgefangener und als zweiter Burnaby, Sidney, gest.05.05.1941, Engländer , Kraftfahrer, engl. Kriegsgefangener. Wer waren diese beiden, wie kamen diese Briten, 1940 verstorben, nach Eisenach? Autor Eberhard Hälbig ging den Spuren nach...

Im Zeitraum des Frühjahrs 1940 bereiten sich die Alliierten  in Erwartung des deutschen Angriffs in Frankreich vor. Da es aber vom Herbst 1939 bis zum Frühjahr 1940 zu keinerlei Kampfhandlunge im Westen kam, wird dieser Zeitabschnitt in der Geschichte des zweiten Weltkrieges auch als ?Sitzkrieg? bezeichnet. Das Kräfteverhältnis der gegnerischen Parteien war annähernd gleich.

Etwa 2.750.000 deutsche Soldaten standen 2.900.000 alliierten Soldaten gegenüber. Die Alliierten haben 2574 Panzer, 2445 Panzer stehen den Deutschen allein an der Westfront zur Verfügung. 2900 alliierte Flugzeuge haben  3227 deutsche Maschinen als Gegner. Allein die Zusammensetzung der Streitkräfte verdeutlicht schon eine Schwachstelle der Alliierten. Von den 95 französischen Divisionen sind lediglich drei Panzerdivisionen. Die zur Hilfe beigestellte Britische Expeditionsarmee hat ganz und gar nur eine mechanisierte leichte Division dabei. Die Deutschen treten mit 10 Panzerdivisionen an, die auch technisch den alliierten Modellen weit überlegen waren.

Die alliierten Waffen sind für einen Stellungskrieg, nicht für einen Bewegungskrieg gedacht. Man erkennt schon jetzt, dass die Franzosen und Engländer etwas Ähnliches wie 1914-1918 erwarteten. Beide trauten den Deutschen eine kühne, unkonventionelle Kriegsführung nicht zu.

Erschwerend kam hinzu, dass es bei den Franzosen keine starke Führung gab und die Verantwortungsbereiche unklar waren. Zwei Hauptquartiere machten das Chaos perfekt, ebenso das Festhalten an überholten Strategien, interne Antipathien und Streitereien. Dem gegenüber gab es auf deutscher Seite nur einen, der alle Fäden in der Hand hielt und uneingeschränkte Machtbefugnisse hatte: Adolf Hitler.

Nach dem deutschen Überfall auf Polen erklärten auch die Engländer Deutschland den Krieg und erfüllten damit die Bündnisverpflichtungen des Beistandspaktes zwischen Polen, Frankreich und England vom 03.09.1939. Zur Unterstützung der Franzosen wurde die Britisch Expeditionary Forces, zu der auch das 23. Field Regiment Royal Artillery gehörte, im Januar 1940 von Southampton nach Le Havre auf den Kontinent verlegt. Das 23. FR Royal Artillery wurde nun aber Teil der 51. (Highland) Infantry Division, die 1939 mobilisiert wurde. Die? Highland? stand unter dem Befehl von Major General V.M. Fortune und innerhalb der Division führte C.R.A. (Commmander Royal Artillery) Brigadier H.C.M. Eden die Artillerieeinheiten, so auch das 23.FR RA .Die Gesamtstärke der BEF betrug  390 000 Mann. Ihr Ausbildungstand  war gut, aber  sehr ? konservativ?. Keinesfalls dazu geeignet, sich mit einem hoch motivierten, hoch technisierten und sehr mobilen Gegner zu messen. Zudem begegneten die Soldaten der Situation 1939 und 1940 sehr ?flapsig? und unbekümmert. Der Ernst der Lage zu dieser Zeit war ihnen nicht bewusst. Selbst die Zivilisten scherzten mit ihren Nachbarn: ?Mach das Licht aus - weißt du nicht das Krieg ist!?. Die Soldaten der BEF hatten in den 8 Monaten seit ihrer Anlandung in Frankreich nur Bunker, Gräben sowie Befestigungen gebaut und sich in den vielen Kneipen bei den  französischen Mädchen sehr beliebt gemacht. Völlig wirklichkeitsfremd waren sie der Meinung, schon bald an den ?Drachenzähnen? der Siegfried-Linie ihre Wäsche zu trocknen, was sie in damals populären Liedern wie ?Tipperary? und ?A Long, Long Trail Awinding? besangen. Viele Franzosen waren durch den langen ?Sitzkrieg?, den ?Drole de Guerre? verweichlicht und zogen es vor, Reißaus zu nehmen. Menschlich betrachtet eine sehr kluge Entscheidung. Die Franzosen südlich von Paris hatten keine Ahnung, in welcher Gefahr sie bereits schwebten, als die Deutschen am 10. Mai 1940 im Westen losschlugen und schon durch Belgien marschierten. An diesem Tag wurde es nun auch für das BEF ernst. Dem alliierten Plan folgend begannen die Engländer, zusammen mit den Franzosen, in Belgien einzumarschieren, um eine Verbindung mit den belgischen und holländischen Streitkräften herzustellen. Zwischen Wavre und Löwen sollten sie die sogenannte Dyle-Stellung einnehmen und halten, was ihnen zunächst auch gelang. Damit war der deutsche Plan aufgegangen. Genau dort wollten die Deutschen die Alliierten haben. Die deutschen Panzer kamen schnell voran - aber nicht im Norden, wie man von alliierter Seite erwartete, sondern im Süden an der Maas. Als die Engländer und Franzosen die wahren Absichten der Deutschen erkannten, war es bereits zu spät. Zwar erging sofort der Befehl an das BEF zurückzuweichen  in den Raum um Lille, von wo aus sie am 21.05.1940 vorbei an Arras nach Süden vorstoßen sollten, um sich mit den Franzosen zu vereinigen, die sich von Süden nach Norden vorkämpften. Auf diese Weise wollte man den 40 km breiten Korridor von Arras wieder schließen, in dem sich die deutschen Kräfte auf die Küste zubewegten. Die Briten hatten auch einige Anfangserfolge und brachten die 7. Panzerdivision der Deutschen in arge Bedrängnis. Aber es gelang den Franzosen letztendlich nicht, eine Verbindung zu den Briten herzustellen, worauf deren Vormarsch zusammenbrach. Nun begann sich der Kessel zu schließen, aber nicht um die Deutschen, sondern um die alliierten Kräfte. Für sie gab es nur noch eine Richtung: Zum Meer, in der Hoffnung über den Kanal zu gelangen,  um so der deutschen Gefangennahme zu entrinnen. Die Situation war für die Alliierten beinahe ausweglos, als Hilfe aus einer Richtung kam, mit der niemand gerechnet hatte.

Hitler bekam plötzlich Angst vor seiner eigenen Courage und fürchtete um seine Panzerverbände. Als Soldat des ersten Weltkrieges glaubte er durch eine Überdehnung der Front seine Panzer aufs Spiel zu setzen, da diese abgeschnitten werden könnten und befahl den Vormarsch zu stoppen und aufzuschließen. Dabei standen am  24.05.1940 die Spitzen der 1. Panzerdivision des XIX. Panzerkorps schon 18 km vor Dünkirchen. Guderian war fassungslos und wollte sein Kommando zurückgeben. Hitler glaubte wieder einmal dem ?Dicken? (Göring), der großspurig die Vernichtung der alliierten Streitkräfte aus der Luft verkündete. Dieser Aufschub des Vormarschs der Panzerkräfte  verschaffte den Engländern die nötige Zeit einen Rückzug des BEF zumindest zu beginnen.

Die Operation ?Dynamo? lief an und General Hans von Salmuth vertraute seinem Tagebuch an: ?Also sind bei den Besprechungen zwischen dem Führer und von Rundstedt am 24.Mai die Entschlüsse gefasst worden, die uns den sicheren Sieg in Flandern gekostet haben? und fügt hinzu ??und die uns vielleicht den ganzen Krieg verlieren lassen.?

Der deutsche Panzergeneral Rommel mit seinem Stab an der belgischen Küste 1940, Archiv Helbig.

 

High-Länder des 51. Britischen Regiments gehen in Frankreich in deutsche Gefangenschaft, Archiv Helbig.

Als Admiral Sir Bertram Ramsey damit betraut wurde, die Operation ?Dynamo? durchzuführen, die die Rettung des BEF aus Frankreich zum Ziel hatte, war ihm sehr bewusst, wie schlecht seine Chancen waren. Der 40 km breite Abschnitt bei Dünkirchen war sandig und zumeist nur drei Meter tief. Somit kamen für die Evakuierung nur kleine Schiffe, wie Zerstörer in Frage. Von den 202 Zerstörern der Royal Navy konnte Ramsey aber nur auf etwa 40 zurückgreifen und man ging daher davon aus, das es Kapitän William Tennant, der ?Dynamo? ausführen sollte, bestenfalls gelingen könnte, 45 000 Mann zurück nach England zu holen. Die Hafenanlagen von Dünkirchen waren zerstört und die Männer mussten mit kleinen Booten, die höchstens 25 Soldaten aufnehmen konnten, vom Strand zu den Zerstörern gebracht werden. All dies unter mörderischen Bedingungen, denn die Luftwaffe bombardierte und schoss ohne Unterlass auf die Fliehenden, die sich trotzdem tapfer wehrten. Die Luftwaffe machte Erfahrung mit tausenden Gewehren der englischen und französischen Soldaten, die ihnen einen dichten Hagel von Geschossen entgegen schickten. Aber die Stimmung war am Boden. In 24 Stunden waren gerade einmal 17 800 Mann gerettet worden.

- Schluss folgt -

 

 

Mihla, 17. 10. 2013